Leiharbeit in der Pflege – Genauso falsch wie überall

Zum Phänomen der Leiharbeit in der Pflege

Genauso falsch wie überall

„Machen sie sich keine Sorgen. Um die Einarbeitung auf der Pflegestation kümmert sich das entleihende Krankenhaus. Und die würden ja niemanden auf Patienten loslassen, der nicht eingearbeitet ist. Da geht es ja um Menschenleben.“ Es war nicht einfach, die Miene der professionellen und interessierten Bewerberin aufrecht zu erhalten, als ich im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs für eine Stelle als Krankenpflegerin bei einer Zeitarbeitsfirma so einen Unsinn aufgetischt bekommen habe. Die reale Situation im Umgang mit Leiharbeitnehmerinnen in Krankenhäusern ist eine gänzlich andere: Entliehene Pflegekräfte haben zu funktionieren, am besten ab dem ersten Tag. Zeit für Einarbeitung gibt es genauso wenig wie für die Anleitung von Azubis.

Aus diesem Grund verließ die Personaldisponentin das Thema wahrscheinlich auch sehr schnell und zählte die Vorzüge einer Tätigkeit in der Leiharbeit auf: Ein ordentliches Gehalt (ungefähr im Bereich der tariflichen Vergütung eines Krankenhauses im Öffentlichen Dienst), dafür aber 35-Stunden-Woche, nur ein Wochenende pro Monat arbeiten („Welchen Dienst, können Sie sich aussuchen.“) und insgesamt maximale Mitbestimmung bei der Dienstplanung. Als Sahnehäubchen zum Schluss gab es noch die Info, dass jeder Urlaub automatisch genehmigt werde, wenn er einen Monat im Voraus angezeigt wird.

In dem Vorstellungsgespräch zeigte sich damit deutlich, was dazu führt, dass mittlerweile über 2 Prozent aller Pflegekräfte (2022: 39.000 Beschäftigte, Quelle: Bundesagentur für Arbeit) bei Zeitarbeitsfirmen angestellt sind, Tendenz steigend. Bei vergleichbarem bis leicht besserem Einkommen bieten die Arbeitsbedingungen das, wovon die Stammbelegschaft nur träumt: Dienstplansicherheit, kein Einspringen aus dem Frei und insgesamt weniger Arbeit zu ungünstigen Zeiten. Kein Wunder, dass den „nur“ 2 Prozent Leiharbeiterinnen schon 10 Prozent der Auszubildenden in Pflegeberufen in NRW gegenüberstehen, welche nach der Ausbildung einen Start in Zeitarbeitsfirmen präferieren (dip e. V., 2022).

Diese Zahlen machen deutlich, wie paradox die Verhältnisse in der Pflege sind. Berufsanfänger, die nach der Ausbildung aktiv eine Beschäftigung in der Leiharbeit anstreben, drehen die Verhältnisse aus Produktionsbetrieben komplett um, in denen die Anstellung beim Mutterbetrieb das erklärte Ziel ist.

Diese gespiegelten Verhältnisse dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Resultat vergleichbar ist. Die Belegschaften, die im selben Betrieb die gleiche Arbeit verrichten, werden gespalten, verdienen unterschiedlich viel und sind im Bereich der Leiharbeit Verschiebemasse des Kapitals. Auch wenn der Personalmangel in der Pflege aktuell zu Beschäftigungssicherheit und guter individueller Verhandlungsbasis der Pflegekräfte führt, schwächt diese Ausdifferenzierung die Beschäftigten insgesamt und auch den Produktionsprozess (Patientenversorgung!). Die den Leiharbeitnehmenden zugestandenen besseren Arbeitsbedingungen werden auf dem Rücken der Stammbelegschaften generiert. Wenn eine zunehmende Zahl von (Leiharbeits-) Beschäftigten weniger Nacht- und Wochenenddienste macht und nicht einspringt, müssen diese Dienste von den Stammbeschäftigten erbracht werden. Die festangestellten Pflegekräfte müssen die Einarbeitung der Leiharbeitnehmer sicherstellen, die Erfahrungs- und Qualitätsstandards im jeweiligen Arbeitsbereich gewährleisten und Routinetätigkeiten übernehmen, für die externes Personal gar nicht eingearbeitet wird. Nachvollziehbar, dass auch Beschäftigte, für die Leiharbeit jahrelang keine Option war, irgendwann darüber nachdenken, in die Zeitarbeit zu wechseln.

Aktuell sieht es nicht so aus, als wenn dieser Kreislauf durchbrochen wird, auch wenn mittlerweile selbst die Krankenhausunternehmer die Kosten durch Leiharbeit und negative Auswirkungen in der Versorgungsqualität problematisieren. Umgekehrt entstehen mit den auf Pflege spezialisierten Zeitarbeitsfirmen private Unternehmen, in denen direkt Profit generiert werden kann, selbst wenn die Beschäftigten überwiegend in öffentlichen oder freigemeinnützigen Krankenhäusern eingesetzt werden.

Im Kapitalinteresse ist auch, mit der Leiharbeit in der größten Berufsgruppe in Krankenhäusern eine weitere Spaltlinie zu haben, an der man bei Streiks ansetzen kann. Das Leistungsverweigerungsrecht, das Leiharbeiterinnen bei Streiks im Einsatzbetrieb nach Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) haben, sowie das Verbot, als Streikbrecher Arbeiten zu übernehmen, ist eher ein theoretisches Konstrukt. Noch paradoxer wird es im Falle von Streiks in Krankenhäusern aufgrund des aufrechtzuerhaltenden Notdienstes für die Patientinnen und Patienten. Wenn die Leiharbeiterinnen abgezogen werden, müssen streikwillige Beschäftigte in den Notdienst.

In der Gesamtbewertung der Leiharbeit in der Pflege hat die Pflegekammer NRW den Beschäftigten standesgemäß einen Bärendienst erwiesen, als sie sich im Juni 2023 in einer ausführlichen Stellungnahme dazu äußerte. Neben grundsätzlich richtigen Forderungen nach tariflicher Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen für alle Pflegenden zementierte sie, dass „die Festlegung eines kritischen Werts für den Einsatz von Leiharbeitenden (…) in der Verantwortung der einzelnen Einrichtungen“ liegen müsse. Dass sie damit die grundsätzlich abzulehnende Leiharbeit genauso stabilisiert, wie es die DGB-Gewerkschaften mit ihren Tarifverträgen für Leiharbeit tun, macht es nicht besser, sondern zeigt, dass noch große Anstrengungen notwendig sein werden, um die Leiharbeit nicht nur in der Pflege abzuschaffen.

Quelle: UZ / https://www.unsere-zeit.de/genauso-falsch-wie-ueberall-4783053/