Zur antifaschistischen Strategiedebatte in der VVN-BdA

Zur antifaschistischen Strategiedebatte in der VVN-BdA

Dem Mainstream nicht auf den Leim gehen

von Silvia Rölle

 

Die Debatte um die Ausrichtung der antifaschistischen Strategie wird seit längerem geführt. Gerade auch in der traditionsreichen antifaschistischen Bündnisorganisation VVN-BdA. In Nordrhein-Westfalen spitzte sie sich im Frühjahr im Zusammenhang mit neuen Akteuren in der Friedensbewegung zu. Wir dokumentieren hier aus aktuellem Anlass das Minderheitenvotum von Silvia Rölle, Landessprecherin der VVN NRW und Mitglied des Parteivorstands der DKP, auf der Landesdelegiertenkonferenz der VVN im April.

Was heißt das: „rechtsesoterisch“ oder „esoterisch – rechtsoffen“?

Ein Blick ins Lexikon zeigt: Esoterisch bedeutet „Nach innen gerichtet“ und „Nur für Eingeweihte verständlich“.
Esoteriker gibt es schon lange. Sie sind ein ideologisches Produkt der Industrialisierung und Verstädterung Anfang des letzten Jahrhunderts. Sie begegnen uns oft als Heilpraktiker, als Apostel von Naturmedizin. Vieles ist für uns befremdlich. Wenn wir für diese „die Tür zu lassen“ und das ernst meinen, dann müssten wir konsequenterweise die Waldorfschulen bekämpfen.

Die Waldorfschulen sind staatlich geförderte, anerkannte Ersatzschulen. Sie sind anthroposophisch, esoterisch und folgen der Lehre von Rudolf Steiner, einem Rassisten und Antisemiten, wie er im Bilderbuch steht. Müssten wir als VVN dann nicht das Verbot der Waldorfschulen fordern, da sie von ihrer Ideologie her „esoterisch-rechtsoffen“ sind? Wir alle wissen, dass wir da differenzierter draufschauen müssen, wissend um die inneren Widersprüche. Warum machen wir das nicht im Fall neuer Bewegungen?

Im Rechenschaftsbericht zu unserer Versammlung wird formuliert: „20 Prozent der Bevölkerung haben ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild.“ Mal abgesehen davon, dass die genannte Zahl falsch ist. Wenn im Rechenschaftsbericht steht: x Prozent der Bevölkerung haben ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“, was soll damit zum Ausdruck gebracht werden? Bei denen ist Hopfen und Malz verloren? Die lassen wir rechts liegen?

Die zitierte „Sinus-Studie“ gibt uns einen wichtigen Hinweis: Hier handelt es sich um Menschen, die in Zeiten schnellen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wandels von der Entwicklung überrollt werden und darauf reagieren!
Im Rechenschaftsbericht heißt es weiter: „Die Tür nach rechts bleibt zu!“ Was bedeutet das? Was ist rechts? Wo fängt rechts an? Für mich persönlich ist die CDU/CSU rechts! Ich würde aber jedes CDU-Mitglied freudig umarmen, wenn es an Friedensdemos teilnimmt oder bei uns Mitglied würde. Oder nehmen wir die Partei „Die Grünen“. Dort dominieren mittlerweile kriegstreibende Kräfte, da haben Bellizisten das Sagen! Ist das nicht rechts?

Zugleich sind viele VVN-Mitglieder auch Mitglieder der „Grünen“. Ich arbeite gerne mit diesen Kameradinnen und Kameraden zusammen. Das mit der Tür ist also nicht so ganz einfach. Diese Losung ist eingängig, hört sich gut an – muss aber erklärt werden.

Wenn hiermit gemeint ist: Die Tür bleibt zu für die feuchten Träume einer Querfront, die Jürgen Elsässer von „Compact“ hat – dann bin ich voll dabei. Querfront ist dummes Zeug. Dieser in der rechten Szene ausgeheckten Strategie gilt es eine entschiedene Absage zu erteilen.

Wenn damit gemeint ist: Keine Zusammenarbeit mit AfD und Co., in deren Reihen faschistische, rassistische und völkische Strukturen wie selbstverständlich Platz haben – dann kauf ich noch zusätzlich ein paar dicke Schlösser, damit die Tür zu bleibt.

Reinhard Opitz hat häufig bei der VVN referiert und manchem linksradikalen Heißsporn der 68er-Bewegung die Leviten gelesen. Eine wichtige These von Opitz ist: Herrschaft im hochentwickelten Kapitalismus funktioniert reibungslos, solange die Masse der Bevölkerung ihre objektiven Interessen nicht erkennt. Diese Bewusstseinsverfälschung sicherzustellen ist Kernaufgabe des Herrschaftsapparats und der mit ihm verwobenen Medienindustrie. Hier geht es nicht um platte Manipulation. Angesetzt wird an dem, was die Leute selbst meinen zu sehen oder erkannt zu haben. Alte Gewissheiten wie „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“, der „Traum vom sozialen Aufstieg“, der „Lebensglückerfüllung im Privaten“.
All das platzt heute wie Seifenblasen angesichts der Krise. Betroffen sind vor allem die Mittelschichten. Opitz sagt dazu: „Es gibt kaum eine nichtmonopolistische Gruppierung, die von vornherein gegen Anfälligkeit für den Faschismus gefeit und daher für ihn uninteressant wäre. Es gibt somit auch keine, um deren Bewusstsein zu kämpfen sich die Antifaschisten aus irgendwelchen Gründen ersparen könnten.“

Sein mahnender Hinweis:
„Gerade diejenigen Schichten und Gruppen, bei denen ein Umschlagen ihres falschen Bewusstseins in faschistische Mentalität am ehesten zu befürchten ist, dürfen am wenigsten als Adressat der antifaschistischen Arbeit vernachlässigt werden. Ihnen muss besonders eindringlich und unermüdlich an konkreten Beispielen und Erfahrungen die Unvereinbarkeit des Faschismus mit ihren eigenen Interessen nachgewiesen werden.“

Und genau das müssen wir tun!

Genau deshalb müssen wir differenziert vorgehen, genau analysieren. Aktuell zum Beispiel bei den Anhängern der Partei „Die Basis“. Forschungen zeigen: Ein großer Teil der „Basis“-Anhänger waren Mitglieder, Funktionsträger oder Wähler der Linkspartei oder der Grünen. Es sind Leute, bei denen sich oft medizinkritisches und anthroposophisches Gedankengut mit liberaler Ideologie paart. Daraus ergeben sich Andockpunkte für „Widerständiges“ aus jeder Richtung. Das ist der rationale Kern für die scheinbar merkwürdige Tatsache, dass sowohl ehemalige Mitglieder und Funktionsträger der Linkspartei und der Grünen sich bei der Partei „Die Basis“ an prominenter Stelle wiederfinden. Aber auch aus der CDU-nahen „Werteunion“ wie auch ehemalige Mandatsträger der AfD.

Ein Bündnis mit der Partei „Die Basis“ lehne ich ab. Gleichzeitig ist es aber wichtig, die Personen einzubinden, die zum Beispiel in der Friedensfrage vernünftige Ansichten vertreten. Zumal einige der handelnden Personen wie etwa im Rheinland seit Jahren in Friedensbündnissen aktiv sind. Das pauschal abzublocken und diese auf der Grundlage unzureichender Analyse und unscharfer Begriffe als Faschisten zu beschimpfen ist für mich eine politische Dummheit.
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht, ohne es zu wollen, das Geschäft derjenigen betreiben, die in dieser „Zeitenwende“ jede außenpolitische Vernunft in Grund und Boden stampfen und gigantische Kriegsrüstung betreiben. In ihrem Interesse ist es, jeden Protest klein zu halten und zu spalten – damit Ruhe an der Heimatfront herrscht.

Wenn die Losung „Die Tür nach rechts bleibt zu“ ungeprüft, auf der Basis unscharfer Begriffe wie „rechtsoffen“, „esoterisch-rechts“ oder Ähnlichem erfolgt, besteht die große Gefahr, dem Mainstream-Wording auf den Leim zu gehen. Der Missbrauch des Begriffs „Antisemitismus“ zeigt ja erschreckend, wie weit eine Umdeutung und negatives Branding getrieben wird.

Die herrschenden Kreise hätten es gerne, wenn Antifaschisten nicht mehr Ross und Reiter nennen, sondern sich im Nebel des „Ungefähren“ auflösten. Die Damen und Herren der Zeitenwende hätten es nur zu gerne, wenn der Antifaschismus zahnlos und jämmerlich wird.