Kriegspartei Bundesrepublik?
Von Arnold SchölzelEine knappe militärische Analyse kann stundenlanges Vernebeln lichten. Ihr Fazit: Nicht vor den Russen, vor der Bundesregierung und ihren Unterstützern sollten die Deutschen Angst haben.
Es gibt Ausnahmen in der medialen Trankocherei zum Krieg in der Ukraine: Oft sind es Aussagen von Militärs. Sie äußern sich zu Tatsachen, benutzen den Konjunktiv selten und halten sich mit Aussagen über die Zukunft zurück. Das macht das Leid der Zivilbevölkerung deutlicher als stundenlange, faktenfreie Heulbojen-PR gegen Russland. Am Dienstag interviewt Marietta Slomka im ZDF-»Heute-Journal« den früheren Brigadegeneral und militärpolitischen Berater im Bundeskanzleramt Erich Vad und fragt sachlich: »Wie entwickelt sich die militärische Lage?« Was sei mit dem für Laien enorm langen Konvoi russischer Militärfahrzeuge Richtung Kiew? Vads Antwort: »Die Kräfte, die jetzt im Raum sind, waren die Kräfte der ersten Staffel. Die Russen gehen jetzt mit Hauptkräften der zweiten Staffel weiter vor, es geht ihnen jetzt darum, Kiew zu nehmen oder zumindest so zu belagern, auszutrocknen, dass da kein Widerstand mehr kommt.« Der werde von Kiew zentral gelenkt, deswegen sei die Hauptstadt »von strategischer Bedeutung«.
Vad nimmt nicht an, dass die russischen Streitkräfte wahllos in die Stadt hineinschießen, aber bei sogenanntem Urban warfare, Kriegführung in städtischer Umgebung, werde die Zivilbevölkerung »unvermeidlich« in Mitleidenschaft gezogen. Die Verteidiger nutzten die zivile Infrastruktur und könnten sich sehr gut aufstellen, die Angreifer aber müssten sehen, wie sie den Weg freikämpften. Dies sei schwierig, man komme zwar schnell in die Städte rein, »danach aber dort zu bleiben und Kiew nachhaltig zu besetzen«, das sei »ein ganz schwieriger Job«. Das habe das Beispiel der US-Amerikaner in Bagdad gezeigt. Dem lässt sich hinzufügen: Die hatten den Einmarsch 2003 mit tagelangem Flächenbombardement vorbereitet. Was damals wie bei allen Überfällen des Westens in Berlin nicht Hunderttausende zum Protest auf die Straßen trieb. Aber heute, 18 Jahre und einige westliche Kriege mit Millionen Toten später, geht es gegen Russen, die neulich im deutschen Sprachgebrauch noch »Untermenschen« waren und deren Ermordung in der Ostukraine seit 2014 auch deswegen von Bild bis ZDF nie erwähnt wurde.
Slomka fragt Vad, warum der Konvoi vor Kiew nicht aus der Luft angegriffen werde. Der General a. D.: Die Russen hätten nach Zerstörung von Flugplätzen und Flugabwehr »augenscheinlich die Luftherrschaft«. Slomka: »Was können die Ukrainer überhaupt noch tun?« Vad verweist auf die hohe Kampfmoral, »aber die russische Militärmaschine ist massiv überlegen in allen Hauptwaffensystemen«. Sie sei daher in mehreren Landesteilen der Ukraine auf dem Vormarsch: »Die Ukraine hat jetzt – rein militärisch betrachtet – nur die Chance, die Russen in einen langandauernden Konflikt zu ziehen, in einen Abnutzungskrieg – und auf Zeit zu spielen.«
Was ist mit einer von der NATO durchgesetzten Flugverbotszone über der Ukraine? Vad: Das haben »wir angewandt über dem Irak, dem Balkan und in Libyen«. Sie funktioniere nur bei großer Überlegenheit über einen »militärischen Habenichts«. Jetzt wäre die NATO faktisch im Krieg mit Russland – ein »No-go« für ihre Führung. Polen und die Ukraine seien schon »zurückgepfiffen« worden, aber »durch unsere Waffenlieferungen sind wir faktisch dabei, uns in diese Richtung zu bewegen«. Sollte der Krieg länger dauern, könne er sehr schnell in einen Stellvertreterkrieg münden und sich eine Kriegspartei herausbilden. Das müsse politisch sehr genau gesteuert werden, »damit man nicht in diese Richtung marschiert«.
Eine knappe militärische Analyse kann stundenlanges Vernebeln lichten. Ihr Fazit: Nicht vor den Russen, vor der Bundesregierung und ihren Unterstützern sollten die Deutschen Angst haben.